Sonntag, 27. April 2008
Tag des geistigen Tiefflugs
herzallerliebste Künstlerinnen und Künstler,

die Wahrheit ist bitter, aber unvermeidlich: Ihr seid verarscht worden, nach Strich und Faden.

Habt Ihr überhaupt gelesen, was Ihr da unterschrieben habt. Oder hat man Euch Dieses Pamphlet nur zur Unterschrift untergeschoben – zwischen der Spesenabrechnung für Euren Aufenthalt im Hilton und der Bestellung der Drogen für den nächsten Monat? So am späten Nachmittag, wenn Ihr Eure champagnerverklebten Augen das erste Mal ein klein wenig öffnen konntet, von der tiefstehende Sonne geblendet, und sich Euer Gehirn noch im hoffnungsbefreiten Rescue-Modus befindet. War es so?

Der Motor für Wohlstand und die Interessen der Beteiligten

Ja, ja, das Internet bringt Euch millionenfach um Eure faire Entlohnung. Darf ich mal fragen, wer Euch entlohnt? Das Internet? Fragt doch mal Euren Verlag, Eure Produktionsfirma, Euer Label oder Eure Manager, wo die Kohle bleibt, die Euch – ach wie tragisch – in Eurem Portemonnaie so dringend fehlt. Ein kleiner Tipp: Das fragen sich die Lektoren, die Kabelträger oder die Toningenieure auch. Diese bekommen für ihre meistens gute Arbeit im Gegensatz zu Euch gerade mal einen Hungerlohn. Aber darum habt Ihr Euch ja nie gekümmert, Ihr seid ja Künstler.

Ach ja, um die Arbeitsplätze macht Ihr Euch auch Sorgen. Als wenn auch nur ein Mensch mehr Arbeit hätte, wenn doppelt soviele Eurer CDs, DVDs oder Filme auf den Markt geworfen werden. Ich frag Euch mal einfach: Ihr wisst, was Automatisation und Maschinen sind? Oder habt schon mal davon gehört? Das ist der Bereich Eures Gewerbes, der mit minimalstem menschlichen Aufwand und größtem maschinellen Aufwand dafür sorgt, dass Eure künstlerischen Ergüsse unter die Leute gebracht werden. Für mehr verkaufte Medien gibt es in unserer Gesellschaft nicht mehr Arbeitsplätze, sondern schnellere Maschinen.

Und was die Steuerausfälle angeht. Jetzt mal unter uns Brüdern: Wie spart Ihr Steuern? Ich wäre da für jeden Tipp dankbar. Also fast jeden: Die Medienfonds, aus denen Ihr jahrzentelang auf Kosten der Steuerzahler Eure Taschen gestopft habt, lohnen sich ja nicht mehr so wirklich.

Wie? Ach so, Ihr seid wirklich um unseren Wohlstand besorgt. Ja, ne. Ist klar.


Ihr seid niedlich – ehrlich. Ihr moniert wirklich, dass die Telekommunikationsbranche milliardenschwer von den illegalen Inhalten profitiert. Was glaubt Ihr, was die profitieren, wenn Ihr – gut rechtegeschützt – Eure künstlerischen Peinlichkeiten gegen Bezahlung im Internet feilbietet. Schon mal auf den Gedanken gekommen, dass die dann mitverdienen werden? Ja die, nicht Ihr! Wer soll Euch denn sonst die Infrastruktur zum Geldscheffeln bereitstellen? Mann, mann, mann. Selbst eine tote Fliege im Suppenteller kann weiter über den Tellerand hinausgucken.

Und Ihr glaubt wirklich, Ihr seid so unentbehrlich, dass es ohne Euch keine iPods, keine Flach[sic!]bildschirme und keine schnellen Internetzugänge gäbe. Wenn Ihr Euch da mal nicht gewaltig täuscht, Ihr größenwahnsinnigen Protagonisten dieses Schmierentheaters der Contentindustrie.

Und seid Ihr schon Mal auf den überaus tiefgehenden Gedanken gekommen, dass Eure Werke nur von denen gekauft werden, die es sich auch leisten können? Nein? Wundert mich nicht. Schließlich steht Ihr auch in der ersten Reihe – von hinten –, wenn die immer schlechter werdenden sozialen Bedingungen oder der Demokratieabbau durch immer mehr Überwachung in diesem Lande kritisiert werden. Aber immer ganz vorne dabei sein wollen, wenn es was zu verdienen gibt. Ach übrigens: Die Internetprovider sowie die Musik- und Filmindustrie arbeiten daran, die Überwachung der Bürger mittels Vorratsdatenspeicherung voranzutrieben. Ihr, die Künster, seid nur das erbärmliche Feigenblatt zur Etablierung eines Überwachungsstaates. Aber was stört Euch das, Ihr steht eh gerne nackt in der Öffentlichkeit.


Bisher habe ich mir immer Eure LPs und CDs gekauft, wenn 3 von 10 Liedern gut waren und habe die anderen 7 von 10 Schrottlieder gerne mitbezahlt. Aber die Zeiten haben sich geändert. Heute bezahle ich beispielsweise auch den Schrott anderer Bands, Künstler oder Filmemacher mit, die Eure Labels, Eure Produzenten einzig und allein einem kurzfristigen Hype dienend auf die Menschheit losgelassen werden. Aus der Gosse für die Gosse. Künstlerische Banalitäten entlang einer Körperverletzung - selbst dann, oder besser: gerade dann, wenn sie mit dem Arsch wackeln. Viele Eurer Ergüsse haben mit Kunst soviel zu tun wie ein Aktfoto von einem Chimpansen mit nacktem Hintern. Nö, das brauche ich alles nicht – und zahlen tu ich dafür auch nicht.

Schämt Euch was. Ab in die Ecke.
Und vier Wochen Fernsehverbot Fernsehzwang.

Quelle: Heise

[Update]
Weitere Beiträge hier in der Rainerschen Post, bei Solon und im beck-blog. Ein Gegenentwurf zum offenen Brief findet man via Fefe

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